Der neue paten 3/2018
Liebe Leserinnen und Leser,
mit der Aufnahme eines Pflegekindes begibt sich eine Familie in eine Schieflage. Entscheidungen, die am Lebensort des Kindes von den Menschen, bei denen es lebt – in der Regel die Eltern – getroffen werden, sind nicht mehr einfach herbeizuführen. Wichtige Entscheidungen und solche von Tragweite werden aufgeteilt und unterschiedlichen Verantwortlichen zugeordnet: die leibliche Mutter bestimmt über Umgang oder hat Wünsche, vielleicht entscheidet ein Jugendamt oder Familiengericht sogar per Beschluss, eine geplante Urlaubsfahrt wird im Hilfeplan diskutiert, über Impfungen und Gesundheitsangelegenheiten wird debattiert und vieles andere mehr.
Zwangsläufig entstehen „Schieflagen“ und Unsicherheiten, wenn soziale Eltern einem Kind vermitteln müssen, dass es Pflegekind ist. Das Kind kann sich das ja meist, wenn es jung vermittelt wurde, nicht aussuchen. Nun erfährt es, dass andere Menschen als seine gefühlten Eltern Entscheidungen über es treffen dürfen, über es bestimmen und dass bei ihm etwas anders ist, als bei den Kindern in seiner Klasse.
Meist erfahren die Kinder schon über gelebte Umgänge, dass bei ihnen eine exklusive Situation vorherrscht und früh wird sich auseinandergesetzt mit dem Thema Trennung, wenn gemerkt wird, dass bei einer Mitschülerin die Eltern geschieden sind und am Wochenende Besuche mit dem Vater stattfinden. Auch Ängste können hier entstehen vor der Trennung von der liebgewonnenen Pflegefamilie, auch Ängste der Pflegeeltern vor Verlust des Kindes. Anpassungsdruck kann dann weiter entstehen, wenn Verhaltensbesonderheiten in Folge der persönlichen Vorbelastungen verkannt werden. Symptome werden verstärkt, wenn diesbezüglich die Beratung des Jugendamtes oder des Trägers defizitär ist und das Kind emotional in Not gerät oder überfordert wird..
Unsere Erfahrungen aus vielen Jahren der Verbandsarbeit sind, dass es Jugendämter und Träger gibt, die mit hoher Kompetenz um die Besonderheiten von Pflegefamilienerziehung wissen und Pflegeeltern hilfreich zur Seite stehen und angemessen unterstützen. Auch dort, wo die angemessene Unterstützung aus Zeitgründen fehlt, gibt es durchaus kompetentes Handeln. Auch Pflegeeltern sind manchmal in der Gefahr, ihre Ängste und Nöte zu spät einem Jugendamt mitzuteilen oder nicht recht Vertrauen fassen zu können oder auf der Suche nach der passenden Beraterin. Bedauerlicherweise gibt es aber auch inkompetente Jugendämter und freie Träger, so dass ein gesundes Misstrauen gegenüber der „Behörde“ durchaus Berechtigung haben kann, wenn systemimmanente, nicht vermeidbare Schieflagen nicht zum Abgrund oder zu Falle werden sollen. Wir erleben leider nicht selten unnötiges Scheitern und vorzeitige Beendigung der Hilfen.
Das in diesem Heft vorgestellte Sozialraumkonzept eines Jugendamtes geben wir zur Diskussion und haben wir für Sie kritisch gelesen. Wenn Sie von Trägern betreut werden – was sie ohne Nachteile hinnehmen zu müssen ablehnen dürfen – lesen Sie bitte die Vereinbarungen oder fordern Sie diese ein. Besprechen Sie mit ihrem Jugendamt, wie Sie betreut werden möchten. Schaffen Sie Klarheit darüber, wer was darf und worüber bestimmt und stellen Sie immer die Frage, welchen Nutzen eine zu treffende Entscheidung für das Kind hat. Das würden Sie auch vor jedem medizinischen Eingriff so machen und sollte deshalb bei sozialen Problemlagen genauso eine Selbstverständlichkeit werden dürfen. Lassen Sie sich Vertragswerke schriftlich aushändigen und lesen Sie diese. Das tun Sie auch bei jedem Handyvertrag, weniger aus Misstrauen, sondern weil man bei der Gestaltung ein Mitspracherecht hat und über bestimmte Dinge entscheiden will und kann und solche Rechte nur abgibt, wenn man es auch will.
Wir bedanken uns bei unseren Autorinnen und Autoren und denken, dass gerade aus dem ungeheuerlichen Missbrauchsfall von Staufen viel zu lernen ist. Da werden Fehler und Systemfehler vielfach identifiziert. Die erfahrene Therapeutin Michaela Huber zeigt in ihrem Beitrag darüber hinaus, wie menschliche Unwissenheit und Ideologie solche Fallverläufe begünstigen und dass es grausame Mütter gibt, die aktiv wegschauen, auch wenn wir das nicht wahr haben wollen.
Wir wünschen Ihnen anregende Lektüre
Susanne Schumann-Kessner & Christoph Malter
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